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Sunday, October 7, 7 pm
Pirate Cinema Berlin
Tucholskystr 6, 2nd fl
Against Cinema
Part 1
René Vienet
7:30 pm: La dialectique peut-elle casser des briques? (1973)
9:00 pm: Les filles de Kamare (1974)
10:30 pm: Chinois, encore un effort pour être révolutionnaires (1977)
Chinesisch und Japanisch mit englisch untertitelten französischen
Untertiteln bzw. Englisch und Chinesisch mit englischen Untertiteln
281 min, 2.3 GB
Free entry
Cheap drinks
Copies to go
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Gegen das Kino, weil für das Kino, sei es als lokale Schule, als nationale
Kraftanstrengung oder als globale Geld- und Glücksmaschine, ja schon alle
anderen sind <1>; und René Vienet, weil es in der Geschichte des Kinos kaum ein
anderes gibt, das aus dieser Geschichte der Bildungsanstalten, Staatsapparate
und Traumfabriken derart weit herausfiele, ohne doch wieder bloss als kritisch-
individualistisch-autorenfilmerische Ausnahmeerscheinung die Spielregeln des
Kinos zu bestätigen. (Was Vienet, statt Kino, vorschlägt <2>, lässt sich
vielmehr leicht generalisieren, kopieren und weiterführen.)
"Can Dialectics Break Bricks?" <3> und "The Girls of Kamare" <4> bleiben die
beiden unangefochtenen Klassiker des "Pirate Cinema", des zweckentfremdenden und
zugleich urheberrechtsverletzenden Films, und "The Girls of Kamare" der eine,
der, wenn wir, was ab und zu vorkommt, an einem Ort ohne Pirate Cinema erklären
sollen, was Pirate Cinema wäre, diesen Zweck bis heute am besten erfüllt.
Bezüglich der "Girls of Kamare" können wir an dieser Stelle auch den zweiten
unserer beiden Irrtümer aus Season One korrigieren: Der von René Vienet neu
untertitelte Film von Norifumi Suzuki heisst im Original "Kyôfu joshikôkô: bôkô
rinchi kyôshitsu" - a.k.a. "Terrifying Girls' High School: Lynch Law Classroom"
- und ein paar Suzuki-Downloads später ist auch uns klar geworden, dass Vienets
historische Leistung nicht allein in der zugleich falschen wie richtigen
Übersetzung besteht, sondern ebenso in der Entdeckung und Distribution eines
Werks, das auch ohne korrigierende Eingriffe bereits Ideologiekritik im
situationistischen Sinne betreibt und dabei an Explicitness kaum etwas zu
wünschen übrig lässt. (Während politische Filmemacher in Japan nach 1968 im
Genre der Pornographie untertauchen konnten, hätte wohl jeder einzelne von
Suzukis Filmen in der BRD der 70er Jahre ein sofortiges Berufsverbot nach sich
gezogen.)
Die eigentliche Attraktion aber, am Sonntag, ist Vienets dritter Film, "People
of China, yet another effort to become revolutionaries", der das Prinzip des
Détournements auf das - nur vordergründig unverfänglichere - Format des
politischen Dokumentarfilms überträgt, und der die letzten 30 Jahre über mehr
oder weniger verschollen war, bis er uns in der vergangenen Woche aus einer
Quelle, die ungenannt bleiben wird, zugespielt wurde. (Als der Film im Oktober
1977 in zwei Kinos im Quartier Latin laufen sollte, verübten Pariser Maoisten
Farbbeutelanschläge auf die beiden Vorführorte, und als er im vergangenen Jahr
für einen Arte-Themenabend anlässlich Maos 30. Todestages vorgeschlagen wurde,
weigerte sich nicht bloss Arte, ihn überhaupt anzusehen, sondern verlor die
Produktionsfirma sicherheitshalber gleich die letzte Kopie.)
Dass man an China, dem Reich der verführerischen <5> Prinzessinnen <6> und
hemmungslos <7> gefrässigen <8> Drachen <9>, auf Dauer nicht vorbeikommt, hat
sich in Europa mittlerweile herumgesprochen; und auch wenn sich unter unserem
Publikum nur wenige Geistige Eigentümer von Regierungsgeheimnissen, Autofabriken
oder Magnetschwebebahnen befinden dürften, sollte doch der Hinweis auf die
chinesische Jahresproduktion von mittlerweile einer Million Kunststudenten
ausreichen, um den Ernst der Lage zu verdeutlichen. Interesse an China ist also
vorhanden; ein Interesse jedoch, das von historischem oder politischem Wissen
weitgehend ungetrübt ist. ("Man kommt nach China mit tausend dringenden Fragen:
Welche Form hat die weibliche Sexualität dort angenommen, welche die Moral? Wir
schütteln den Baum der Erkenntnis, von dem die Antwort fallen möge... doch
nichts fällt." - Roland Barthes in Le Monde vom 24. Mai 1974, zitiert nach Les
filles de Kamare, Min. 21)
Dass die Filme der Situationisten im Allgemeinen - und die Détournements René
Vienets im Besonderen - heute ein objektiveres Bild von der Geschichte Chinas im
20. Jahrhundert zeichnen als die Märchenerzählungen der europäischen Staats- und
Kulturmedien, hat den einfachen Grund, dass die Situationistische Internationale
unter den revolutionären Organisationen im Europa der Nachkriegszeit beinahe die
einzige war, die sich in der Traditionslinie nicht etwa erfolgreicher, sondern
gescheiterter Revolutionen sah - im Falle Chinas der von 1927 - und daher
weder strategisches noch taktisches Interesse daran hatte, von der Kritik der
spektakulären Warenökonomie ausgerechnet jene Form, die diese in den sogenannten
sozialistischen Staaten angenommen hatte, auszunehmen. Was einen Erkenntnis- und
Wissensvorsprung zum Ergebnis hatte, der für jene Gruppen, für die 1968 der
Beginn einer weiteren Erfolgsgeschichte werden sollte, nie mehr aufzuholen war.
(Von "Arschlöchern wie Sartre" - Chinois, encore un effort..., Min. 17 - ganz zu
schweigen.)
Wenn China bis heute ein Märchenland geblieben ist, dann nämlich nicht allein
als Folge postkolonialer Gedächtnislücken, antikommunistischer Propaganda oder
exportweltmeisterlicher Ignoranz, sondern vor allem als Resultat des in den
späten 60er Jahren beginnenden Siegeszugs des Maoismus in Westeuropa. Während es
in Deutschland bis Ende der 90er Jahre dauern sollte, bis der lange Marsch der
Maoisten sein Ziel - Bundesministerien und Parlamentspräsidien - erreicht hatte,
gelang der grosse Sprung nach vorn in Frankreich deutlich früher: Dort
verstopften die maoistischen Kulturrevolutionäre bereits in den 70er Jahren
weite Teile der staatlichen Bürokratie. Um noch nach Maos Tod, und noch zu
Zeiten, in denen Maos Erbe - der "Lange Marsch", der "Grosse Sprung nach vorn"
und die "Kulturrevolution" - selbst in China längst nur noch die Schrecken
eines jahrzehntelangen Bürgerkriegs evozierte, an einem Bild von China - und
dessen bizarrer Rückprojektion auf Europa - festzuhalten, in dem eine jede
politische Katastrophe nur eine weitere Etappe einer nicht enden wollenden
Fortschrittsgeschichte darstellte und selbst die Machtkämpfe an der chinesischen
Staats- und Parteispitze noch einer vermeintlich revolutionären Logik folgten.
René Vienet hat vor einem Jahr noch einmal einen längeren Text veröffentlicht
<10>, der den Maoismus von 1976 - und den Skandal, den ein Film wie "Chinois,
encore un effort..." auslösen musste - ziemlich detailgenau rekonstruiert.
(Hinzuzufügen bleibt, dass die Wendung, die die chinesische Geschichte nach 1976
genommen hat - und die dem Westen eine ganze Reihe weiterer Rätsel aufgibt -
keine allzu glückliche gewesen ist: Was für eine - von jährlich tausenden von
Arbeiteraufständen unbeirrte - letzte Anstrengung zur Revolution das chinesische
Volk derzeit unternimmt, würde man sich auch lieber von René Vienet erläutern
lassen als immer nur von Le Monde diplomatique oder vom Spiegel.)
Wessen Gesamtwerk Sie als zweiten Teil von "Against Cinema" zu sehen bekommen
werden, können Sie möglicherweise bereits erraten. (Und wer das Ende der zweiten
Saison von Pirate Cinema noch nicht kommen sieht, sei hiermit zumindest schon
einmal so beiläufig wie möglich gewarnt: Kommen Sie nicht zu spät!)
<1> http://newfilmkritik.de/archiv/2007-09/ganz-grundsatzlich-letztlich-und-
endlich-eigentlich-schon-sehr-einfache-fragen
<2> http://piratecinema.org/textz/rene_vienet_the_situationists_and_the_new_
forms_of_action_against_politics_and_art.html
<3> http://piratecinema.org/screenings/20050206
<4> http://piratecinema.org/screenings/20041010
<5> http://spiegelstudien.de/images/9-1997.jpg
<6> http://spiegelstudien.de/images/35-2007.jpg
<7> http://spiegelstudien.de/images/42-2004.jpg
<8> http://spiegelstudien.de/images/32-2005.jpg
<9> http://spiegelstudien.de/images/22-1997.jpg
<10> http://piratecinema.org/textz/rene_vienet_mao_arrets_sur_images.html
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